Die Welt braucht Kreativwirtschaft

„Alle 30 Minuten nutzen Sie eine Kreativleistung.“

Lesedauer: 6 Minuten

Die Bruttowertschöpfung der Kultur- und Kreativwirtschaft lag 2021 bundesweit bei 103,7 Mrd. Damit liegt die Branche vor Maschinenbau, Finanzbranche und Energiewirtschaft. Doch während Maschinenbau oder Finanzsektor niemandem mehr erklären müssen, warum sie wichtig sind, kämpft die Kultur- und Kreativwirtschaft immer noch um ihre Salonfähigkeit.
Die Frage ist: Wo liegt unser realer Nutzen für Wirtschaft und Gesellschaft im täglichen Leben? Eine Antwort anhand eines Selbsttests.

Mein Sprudelflasche wäre leer, hätte nicht ein Maschinenbauer eine Abfüllanlage in die Fabrik gestellt. Meine EC-Karte wäre nur ein Mini-Eiskratzer, würde die Finanzbranche kein komplexes Transaktionssystem dahinter stellen. Diesen Blog-Artikel gäbe es nicht, würde mein Energiedienstleister mir nicht Strom in die Steckdose leiten.

Wenn die Kultur- und Kreativwirtschaft die Wertschöpfung dieser sogenannten Schlüsselbranchen übertrifft, müsste sie in unserem Leben also entsprechend präsent sein. Ist das so?

Test: Wie häufig nutzt man im Alltag eine Kreativleistung?

Mein Haus wurde von einem Architekten entworfen. Geweckt werde ich morgens von Musikern aus dem Radio, gefolgt von Nachrichten, die Journalisten aufbereitet haben. Dank diverser Textildesigner kann ich mich beim Anziehen über ansehnliche und funktionale Kleidung freuen, statt mich in ungeformtes Rohleinen hüllen zu müssen.

Meinen Kaffee lasse ich mir aus einem Gerät, das ein Maschinenbauer entworfen hat. Dass die Nutzung einem technischen Laien wie mir möglich ist, verdanke ich aber Industriedesignern, welche die Maschinerie in eine Hülle gesteckt haben, die eine intuitive Bedienung erlaubt.

Auf dem Weg zur Arbeit scrolle ich durch diverse Apps auf meinem Smartphone. Ihre Funktionen wurden von UX-Designern so gestaltet, dass auch sie intuitiv nutzbar sind. Viele Inhalte und Nachrichten, die ich konsumiere, bestehen aus Bildern, die von Fotografen und Grafikern erstellt und aufbereitet wurden.

Viele Elemente unseres Alltags wären unbrauchbar, würde die Kreativwirtschaft ihrer Funktion keine zugängliche Form geben.
Foto von Kelly Sikkema auf Unsplash

Sobald ich meinen Computer anschalte, nutze ich im Minutentakt die Arbeit meiner Mitstreitenden aus dem Kreativsektor. Die Software- & Gamesindustrie, welche Software und Plattformen nutzbar machen; Grafiker und Illustrationen, welche mich in Programmen mit Vorlagen, Templates oder auch Inspirationen unterstützen; Webdesigner und (Online-)Journalisten, die Informationen per Mausklick verfügbar machen.

Egal ob ich meine Wege während des Tages mit dem Auto, dem Fahrrad oder in der Straßenbahn zurücklege, hinter allem steht die Arbeit von Designern, die dafür sorgen, dass die Technik für die Menschen funktional und intuitiv nutzbar ist. Im öffentlichen Raum stoße ich in Parks, Wartebereichen und Amtszimmern immer wieder auf Kunstwerke, Skulpturen und andere Schöpfungen des Kunstmarktes, welche unser Dasein ästhetisch bereichern und Aufenthaltsqualität schaffen.

Nach Feierabend entspanne ich mich vor dem Fernseher bei Produktionen aus der Filmwirtschaft. Oder ich lese ein Buch, das mit Millionen anderen über den Buchmarkt in diese Welt gestellt wurde, der von Autoren, Illustratoren und Fotografen gespeist wird. Oder ich gönne mir Live-Unterhaltung mit Angeboten, die entweder aus der Musikwirtschaft, dem Kunstmarkt oder von den Darstellenden Künsten stammen.

Die Einrichtung meines Zuhauses ist inspiriert von zahlreichen Interior-Magazinen, deren Anregungen von Innenarchitekten entwickelt und von Journalisten aufbereitet wurden.. Die Entstehung meiner Möbel verdanke ich zwar dem Maschinenbau und der begleitenden Finanzindustrie. Dass sie schön aussehen und meine Wohnung zu einem Heim nach meinem Geschmack machen, ist jedoch wieder der kreativen Arbeit von Desginern geschuldet.

Kultur- und Kreativwirtschaft ist überall, doch die meisten Menschen sind sich dessen nicht bewusst.

Ganz ehrlich: Sind wir Kreative uns unserer Präsenz überhaupt selbst bewusst?

Die sichtbaren Kreativleistungen sind nur die Spitze des Eisbergs.

Selbst in diesem sehr holzschnittaritgen Alltags-Szenario komme ich auf über 20 Schnittstellen mit der Kultur- und Kreativwirtschaft pro Tag.
Zieht man Schlaf- und Ruhestunden ab, können wir der Welt in grober Zusammenfassung sagen:

Mindestens alle 30 Minuten nutzen Sie eine Leistung der Kultur- und Kreativwirtschaft.

Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs.

Für viele von uns sind Musik, Nachrichten und ggf. auch Fernseh-Unterhaltung ein Dauerbegleiter im Alltag. An vielen Arbeitsstellen läuft Musik, ebenso im Kaufhaus. In vielen Bars oder an öffentlichen Orten wie Bahnhöfen oder Flughäfen gehört ein laufender Fernseher zur Standarteinrichtung. Werbung umspült uns allerorts.

Nahezu alles, was ich in die Hand nehme, verdankt seine Nutzbarkeit Kreativschaffenden, welche die eigentliche Funktion erst in eine handhabbare Form brachten. Egal, ob es eine Computermaus, ein Stuhl, die Zahnbürste oder das Cockpit des Autos ist.

Unter der Oberfläche prägt die Kreativwirtschaft unser Leben stärker, als wir glauben.
Foto von Annie Spratt auf Unsplash

Selbst wenn wir die ökonomische Wucht von 103,7 Mrd. Euro Bruttowertschöpfung hintenanstellen würden, wäre die Kultur- und Kreativwirtschaft damit eine Wirtschaftsmacht. Eine Stille, aber umso größere.

Ein gutes Beispiel hierfür gibt die Möbelindustrie.

Diese ist ein milliardenschwerer Wirtschaftszweig, der vor langem den lukrativen Grenzüberschritt vom Produktanbieter zum Lifestyle-Lieferanten geschafft hat. Einrichtung dient heute (wie Kleidung) zur Unterstreichung der eigenen Persönlichkeit und Lebenshaltung. Entsprechend groß sind die Konsumfreude und Budgets, welche die Kunden in diesen Wirtschaftszweig tragen. Doch dass diese stylische Wandlung stattgefunden hat, ist unter anderem der ebenso genialen wie machtvollen Arbeit des Design- und Werbemarktes zu verdanken.
IKEA wäre heute noch ein rappeliger Mitnahmemarkt, ohne die gewaltigen Design- und Kommunikationskonzepte, welche das Unternehmen zu einem milliardenschweren Lifestyle-Giganten gemacht haben.

Soft Innovation ist die Kraft der Kreativwirtschaft

Die Kultur- und Kreativwirtschaft ist die zentrale Kraft im Bereich der ästhetischen Produktinnovation und Diversifikation. In einer Welt, in der es fast alles in unendlichem Maße gibt, machen ästhetische oder sensorische Innovationen den entscheidenden Unterschied. Soft Innovation nennt man das.

Jede Produkt- und Leistungspräsentation, egal aus welcher Branche, wird erst wahrnehmbar, wenn die Kultur- und Kreativwirtschaft ihr ein ästhetisch ansprechendes und wahrnehmbares Gewand gibt. Der Siegeszug von Apple fußte zu einem wesentlichen Teil auf dem herausragenden Design und der daraus hervorgegangenen intuitiven Bedienbarkeit der Geräte.

Auf ihrem finalen Weg zum Endverbraucher und Alltagseinsatz hängt nahezu die komplette Konsumgesellschaft samt ihren daran angebundenen Wirtschaftsprozessen an den unsichtbaren Fäden der Kultur- und Kreativwirtschaft.

Deshalb sind wir eine Wirtschaftsmacht.

Dessen müssen wir uns auch selbst bewusst sein. Wenn jemand das nächste Mal fragt, welchem Mehrwert wir liefern, sagen wir also einfach: „Alle 30 Minuten nutzen Sie eine Kreativleistung!“


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