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Wie leicht sind wir ersetzbar? Eine Überlegung zur Frage, was KI mit uns Kreativen machen wird.
Neulich besuchte ich ein Seminar zum Thema „KI in der Medienproduktion“. Während erstklassige KI-generierte Bilder, Avatare, Animationen und eine komplette KI-generierte TV-Moderation an mir durchzogen, überkam mich ein mulmiges Gefühl. Es ist immer eine Sache, zu wissen, dass Dinge möglich sind. Es ist eine andere, ihre Macht und Möglichkeiten in vollem Volumen zu erleben.
Ich habe mir lange eingeredet, dass echte Kreativleistungen nicht so einfach durch KI ersetzt werden können. Zu viele Dinge spielen in einen Kreativprozess mit ein, die nicht ohne weiteres durch Daten, Algorithmen und Technologie ersetzt werden können.
Wenn man die Fähigkeiten von KI aber ungeschönt betrachtet, stellt sich die Frage: Ist das wirklich so?
Ein wesentlicher Teil meiner Tätigkeit besteht aus Content-Produktion. Doch wenn ich ChatGPT mit den richtigen Prompts füttere, liefert mir schon die zwei Jahre alte Gratis-Version Texte, die in sprachlicher und inhaltlicher Qualität tadellos sind und mit meiner Arbeit konkurrieren könnten.
Meine beruflichen Anfänge liegen in der technischen Vorstufe der Medienproduktion. Was wir vor einem Jahrzehnt in der Abteilung gemacht haben, können Remini, Simpleshow, Canva und Co. heute problemlos übernehmen. Stunden und Tage, die früher in aufwändige Photoshop-Retuschen geflossen sind, können heute durch KI auf Minuten reduziert werden.
Das wirft existenzielle Fragen auf: Was wird KI mit uns Kreativen machen?
Unsere Arbeitswelt und Wirkungsweise als Kreative werden sich verändern. KI dürfte im Kreativprozess bald eine zentrale Rolle einnehmen. Es könnten Jobs und ganz Tätigkeitsbereiche verloren gehen, vor allem in der Vorstufe, in der Zuarbeit, in der Recherche und in der Analyse.
Gleichzeitig bin ich überzeugt:
KI wird echte Kreativleistungen nie vollumfänglich ersetzen.
Inhaltsverzeichnis
#1 Künstliche Intelligenz hat keinen Intellekt
KI kann mein Denken und Handeln auf das Perfekte imitieren. KI kann Daten analysieren, Muster identifizieren, Informationen verarbeiten, kombinieren und Output produzieren in einem Volumen wie wir es als Menschen nie schaffen werden. Die kognitive Leistungsfähigkeit von KI ist für uns Menschen schon jetzt uneinholbar. KI hat aber „nur“ Intelligenz, die „nur“ künstlich ist. Doch künstliche Intelligenz hat keinen Intellekt. Und zwischen Intelligenz und Intellekt gibt es einen wesentlichen Unterschied.
Ich habe ihn für diesen Artikel spaßeshalber von der KI-Software ChatGPT selbst definieren lassen:
Intelligenz
Dies bezieht sich auf die allgemeine kognitive Fähigkeit einer Person. Es umfasst die Fähigkeit, Probleme zu lösen, Wissen zu erwerben, zu verstehen und zu nutzen, sowie die Fähigkeit, sich an neue Situationen anzupassen und abstrakte Konzepte zu begreifen. Intelligenz wird oft durch standardisierte Tests wie IQ-Tests gemessen, obwohl es auch andere Formen der Intelligenz gibt, die möglicherweise nicht in solchen Tests erfasst werden.
Intellekt Dies ist ein breiterer Begriff, der die geistige Fähigkeit, die intellektuelle Kapazität und das Potenzial einer Person beschreibt. Es umfasst nicht nur die kognitive Leistungsfähigkeit (wie Intelligenz), sondern auch Aspekte wie kritisches Denken, kreative Fähigkeiten, emotionale Intelligenz, soziale Kompetenz und die Fähigkeit zur Selbstreflexion. Intellekt bezieht sich auf die Gesamtheit der geistigen Fähigkeiten und Eigenschaften einer Person.
Kreativleistungen bestehen aus mehr als der Generierung von Content, Output, Objekten etc. Hinter Kreativleistungen stehen Prozesse, in denen eben jene Gesamtheit der geistigen Fähigkeiten, Eigenschaften und Potenziale der beteiligten Personen einfließen. Deshalb sind die Leistungen und Produkte der Kreativwirtschaft so hoch-individuell, denn es stecken stets die Handschrift und ein Stück der DNA der Schöpfer darin.
Am deutlichsten sichtbar wird dies in der Kunst. Beispielsweise bei Gemälden, bei Bühnendarstellungen oder in der Musik. Doch wer hinschaut, findet auch in konventionelleren und kommerzielleren Kreativleistungen – wie beispielsweise der meinen – immer Charakteristika der Schöpfer, die wie eine Handschrift einzigartig sind. Oft sind genau diese Charakteristika der Grund, weshalb wir für eine bestimmte Leistung gebucht werden.
#2 KI hat kein Verantwortungsbewusstsein
KI produziert, was von ihr bestellt wird, beispielsweise Bilder eines aggressiven Mobs von arabischen und afrikanischen Migranten, die es in der Realität so gar nicht gegeben hat.
Die von ihr produzierte Ergebnisqualität ist mittlerweile so hoch, dass es für Betrachtende absolut real aussieht. Ungeübte haben kaum mehr eine Chance zu erkennen, ob das, was sie sehen, „echt“ ist, oder ob ihnen ein kompletter Fake vorgesetzt wird. Immer häufiger wird versucht, mit KI-produziertem Content Meinungsbildung und Desinformation zu betreiben. Die Initiatoren und Akteure im Hintergrund haben dabei nicht das Wohl der Menschen und unserer freien demokratischen Gesellschaft im Sinn, sondern das Gegenteil.
KI hat kein Verantwortungsbewusstsein und Gewissen. Sie fühlt sich keinem Gesetz und keiner Ethik verpflichtet und strafrechtlich nicht belangbar. Die reine Vermittlung von Informationen, Themen etc. kann von KI gestützt und technisch auch komplett übernommen werden.
Deshalb braucht es vor allem in schwierigen und sensiblen Bereichen immer das Gespür und die Reflexion von Menschen. Wir Kreative bringen in unsere Arbeit nicht nur unser fachliches Wissen ein, sondern auch unsere Werte und unsere Verpflichtung zu Recht und Ethik ein.
Die sozialen Medien und diverse Internetplattformen sind mittlerweile voll von Beispielen, in denen sich Akteure mit Hilfe von KI über eben dies hinwegsetzen.
Gerade deshalb denke ich:
In selbem Maße wie die Bedeutung unseres technischen und fachlichen Wissens sinkt, steigt die Bedeutung unserer ethischen und gesellschaftlichen Verantwortung als Kreativschaffende.
#3 KI hat keine Soft Skills
Ich arbeite vor allem für den kommunalen Sektor. Dabei geht es oft darum, Menschen einzubinden und zu motivieren. Es geht darum, Zweifel aufzulösen, Aufklärung zu geben, Irritationen zu klären und Konsens zu schaffen. Im Grunde arbeite ich entgegengesetzt zu Fake-News und Desinformation.
Für die reine Vermittlung von Informationen kann KI dabei sachlich und informativ erstklassige Dienste leisten. Wenn es nur darum ginge, möglichst viel an Fakten und Wissen zu einem Thema in einen gut lesbaren Text zu verpacken, wäre die KI inzwischen gleichauf mit mir.
Aber bei meinen Themen geht es nicht nur um Informationen, sondern in ebenso hohem Maße um Emotionsmanagement. Wichtige Fragen sind dabei: Wie ist die Stimmung zum Thema? Welche Sensibilitäten gibt es? Wie müssen Inhalte formuliert und platziert werden, damit sie den Menschen und dem Anliegen dienen?
Hier spielen viele komplexen Faktoren ineinander: Gesellschaftliche Gepflogenheiten, geographische Rahmenbedingungen, kulturelle Charakteristika, kollektive und individuelle Vorgeschichten etc.
KI kann Atmosphäre und Emotionen erzeugen, aber sie kann sie nicht erspüren. Genauso wenig kann sie kulturelle oder lokale Charakteristika erspüren, die in der Kommunikation eine so große Rolle spielen. Dafür braucht es soziale Kompetenz, emotionale Intelligenz und eben Gespür. Es braucht Soft Skills und Intellekt. Diese heben uns Menschen von KI ab.
Volumen und Variation = KI
Schöpferischer Prozess = Mensch
Ich glaube, dass Massenware künftig zunehmend von KI erstellt werden wird. KI wird dabei auch Bereiche des schöpferischen Prozesses übernehmen. Vor allem dann, wenn nicht Neuentwicklungen, sondern Variationen von Vorhandenem gefragt sind. Wenn die Marketinganalyse ergibt, dass aufgrund von Parametern X, Y und Z eine fünfte Produktvariante der aktuellen CashCow lukrativ wäre, halte ich das für ein klassisches künftiges Handlungsfeld von KI.
KI wird meiner Einschätzung nach immer dann zum Einsatz kommen, wenn es um datenbasierte Optimierungen und Varianten etc. geht. Denn KI kann in einem Volumen Daten verarbeiten, analysieren und Muster erkennen, wie es dem menschlichen Gehirn nie möglich wäre.
Gleichzeitig glaube ich:
Der grundlegende schöpferische Prozess, die Entwicklung von etwas gänzlich Neuem, wird die Domäne des Menschen bleiben.
KI speist sich aus Datenfutter. Sie ist aber noch nicht in der Lage, potenzielle „Futterquellen“ orginiär zu erschaffen.
Anders gesagt: KI kann die nächste iPhone-Variante konzipieren. Sie wäre aber nicht in der Lage gewesen, das iPhone zu erfinden. Denn in der Erfindung des iPhones stecken nicht nur technisches Wissen, sondern viel emotionale Einschätzung und Gespür hinsichtlich Menschen und Bedürfnissen.
Gleiches gilt für Social Media. KI hält die sozialen Medien am Laufen und an vielen Stellen scheint es, als hätte KI auch die Herrschaft über die sozialen Medien übernommen. KI hätte sie aber nicht erfinden können. Denn die Erfindung der sozialen Medien fußte in der Initialzündung auf sozialen Einschätzungen und dem Erspüren von emotionalen Bedürfnissen, die erst danach mit komplizieren Algorithmen zum Laufen gebracht wurden.
Die Arbeits- und Auftragswelt wird sich für uns Kreative ändern. Wir werden erleben, dass nicht nur Hilfskräfte gegen Automaten, sondern an vielen Stellen auch wir Kreative gegen KI ausgetauscht werden. Aber ich denke nicht, dass wir in Orwell’sche Düsternis verfallen müssen.
Keiner weiß, was die (technische) Zukunft bringt. Aber ich glaube, dass KI im grundlegenden schöpferischen Kreativprozess weiterhin ein Diener bleiben wird. Eben weil KI intelligent ist – aber keinen Intellekt hat.